Trauerrede für meinen Vater

The following text is the german funeral speach for my daddy.

Diese Rede wurde am 03.05.2008 auf Erwin Geschonneck‘s Beerdigung von Alexander Geschonneck gehalten.

Mach's gut Geschi!

Für viele war er Karbid Kalle, der Lagerälteste Krämer, Oberst Petershagen, Jupp König, der Holländer-Michel, Oskar Schrader, Moishe Kowalski, Dorfrichter Adam, Matti oder auch mal Herr Puntilla. Für mich war und bleibt er vor allem Vati.

Ich bin froh – wenn man in einem solchen Moment überhaupt froh sein kann – dass so viele Weggefährten, Freunde, Verwandte und Bewunderer den Weg hierher gefunden haben, um meinem Vater, Erwin Geschonneck, die letzte Ehre zu erweisen. Ich bin sicher, dass er das sehr genossen hätte. So genossen wie das Blitzlichtgewitter und die letzte große Aufmerksamkeit anlässlich seines 100. Geburtstages, den er Ende 2006 feiern durfte – denn er war ein Künstler durch und durch. Ein Künstler, der die öffentliche Wertschätzung aufsog und genoss. Sein Gespür für Kränkungen war aber ebenso ausgeprägt. Er konnte diese – auch das ist wohl Künstlerart – lange nicht vergessen. Einige späte Wiedergutmachungsversuche, solcher Kränkungen konnte er leider nicht mehr erleben, da sie erst nach seinem Tode erfolgten. Sei’s drum!


Geschonneck und seine Kinder

Wer die Haltung meines Vaters verstehen will, muss zunächst seine Vergangenheit und seine Lebensgeschichte kennen und begreifen. Die Ausweisung aus der Sowjetunion, die Gefangennahme durch die Gestapo, die Zeit in den Konzentrationslagern, den Untergang der Cap Arcona und den Neubeginn seines politischen Lebens, aber vor allem auch seines privaten Lebens, als freier Mensch, ohne Angst vor Verrat und Knechtschaft. In der Berliner Zeitung schrieb Regine Sylvester „Seine Geschichte hätte ihn schon viel früher verschlingen können.“. Die Ironie des Schicksals will es, dass gerade heute vor 63 Jahren die Cap Arcona – ein Schiff mit tausenden KZ-Häftlingen – in der Lübecker Bucht durch Bombenangriffe versenkt wurde. Wie viele von Ihnen wohl wissen, war mein Vater einer der wenigen Überlebenden dieser Tragödie. Am heutigen Tage findet an jenem Ort, an dem die Leichen an den Strand gespült wurden, eine Gedenkveranstaltung der ehemaligen Insassen des KZ Neuengamme statt, aus dem die Cap Arcona-Opfer stammten. Ich könnte mir gut vorstellen, dass auch mein Vater heute viel lieber dort wäre, um seiner Kameraden zu gedenken. Denn noch nie mochte er Trauerfeiern, und Trauerreden gleich gar nicht.
In diesem Lichte müssen viele seiner Eigenschaften betrachtet werden, auch seine „Arbeitswut“, seine unbändige geistige und körperliche Energie, die er unermüdlich einsetzte, um so vieles nach dem Kriege aufzuholen, beruflich wie auch privat.

Mein Vater glaubte immer an das Gute in den Menschen, an deren Einsicht und vor allem an seine politische Idee. Ich kann mich an unzählige Diskussionen über Dialektik und die unversöhnlichen Klassengegensätze mit ihm erinnern. Mehr Diskussionen, als einem heranwachsenden Jungen damals lieb waren. Mein Vater hat mir viele Hintergründe und Zusammenhänge erklärt; durch ihn wusste ich mehr über den 20. Parteitag der KPdSU und das politische Grauen davor, sowie über das XI. Plenum des ZK der SED und das künstlerische Grauen danach, als meinen Staatsbürgerkundelehrern an der Schule damals lieb gewesen sein konnte. Aber sie ließen mich gewähren, denn auch meine Art zu diskutieren habe ich von meinem Vater gelernt.

Geschonneck und seine Rollen

Er hat mir vor allem eines vermittelt: „Für seine Überzeugung einzustehen kann niemals schlecht sein.“ Sein Lebenslauf als langjähriger Genosse und Antifaschist sowie seine große Popularität als Schauspieler verhalfen meinem Vater zu einer Position, die es ihm – der niemals ein Parteiamt bekleidetet – ermöglichte, seine Meinung offener und kritischer als andere in der DDR zu äußern, auch wenn er damit auf Widerstand stieß. Ich kann mich noch gut erinnern, wie er auf einigen Versammlungen das Öffnen der „Giftschränke“ forderte, um aus diesen die auf Eis gelegten Filme herauszuholen. Ich habe damals seine Reden stolz auf meiner Schreibmaschine abgetippt. Oft fragte ich „Mensch Vati, willst Du dies wirklich so sagen?“, und er antwortete darauf nur „Junge, sei kein Duckmäuser!“
Er hat sich immer gegen jede Art Zensur versucht zur Wehr zu setzen, und ich habe es damals in letzter Konsequenz nicht immer verstanden. In späteren Jahren sah ich viel klarer und bin dadurch noch weitaus stolzer auf ihn. So fand meine Rührung beispielsweise keine Grenzen, als er 1993 im Theater des Westens das Filmband in Gold vom damaligen Bundesinnenminister erhielt. Denn nach seinen Dankesworten, dass er diese Auszeichnung auch für sein politisches Leben annehme, hat ihm der gesamte Saal stehend applaudiert. Welch ein Triumph!

Grab von Erwin Geschonneck

Der Regisseur Roland Gräf schrieb einmal über meinen Vater: „Nicht Opulenz und Virtuosität prägen seine Rollen, sondern Einfachheit und Lakonismus, nicht charmante Unverbindlichkeit, sondern Eigensinn und Strenge.“ Ja, wer kannte sie nicht, seine Momente des Eigensinns, künstlerisch und auch sonst so. Für seine Ideen und Überzeugungen stand er auch gegen jeglichen, vermeintlich stärkeren, Widerstand ein. Ich erinnere hier nur stellvertretend an die Fehde, die er mit dem damaligen FDJ-Vorsitzenden Eberhard Aurich führte, weil Teile seiner Memoiren nicht als Serie im Zentralorgan der FDJ „Junge Welt“ veröffentlicht werden sollten. So wollte mein Vater partout nicht auf den Teil der Ausweisung aus der Sowjetunion Ende der 30er Jahre verzichten. Auch wenn ein externer Betrachter diesen Disput als kleinlich bezeichnen mag, ging es für ihn um die Sache, die Sache der Wahrheit und der Aufrichtigkeit. Die Frankfurter Rundschau betitelte ihren Nachruf auf Erwin Geschonneck mit den Worten „Eigensinn am rechten Fleck“. Ich denke, dass dies eine sehr passende Bezeichnung ist. Denn stur war er beim besten Willen nicht, er war immer offen für gute Argumente. Z.B. auch für meine Argumente, warum ich weder Schauspieler noch Regisseur werden wollte, sondern schlussendlich einen ganz anderen Weg, fernab von Film und Fernsehen, eingeschlagen habe. Allerdings brauchte es eine gewisse Zeit, ihm zu vermitteln, was ich denn nun tatsächlich mache und dass meine Bücher auch gut sind, obwohl sie keine für gealterte Augen geeignete Schriftgröße haben und von vielen sonderbaren Dingen berichten, die für ihn eine komplett neue Welt darstellten. Aber sein stets versöhnlicher Kommentar war: „Hauptsache es macht Dir Freude – und die Leute kaufen es“. Er hat immer gewünscht, dass es mir gut geht und dass ich Freude an meinem Schaffen habe.

Wenn ich die Filme meines Vaters sehe, denke ich mit großem Amüsement an die Gesangsszenen, die er wohl fast jedem Regisseur in seiner unvergleichlichen Art abtrotzte. Ja wohl, er sang gern und dies – zu meinem pubertären Leidwesen – auch zu Hause. Er hatte sich in seiner Kindheit und Jugend einen unerschöpflichen Vorrat an Küchenliedern, Gassenhauern und Schnulzen angeeignet. Für seine Regisseure war er bestimmt kein einfach zu handhabender Künstler, mitunter sogar ausgesprochen unhandlich, aber er hatte ein großes Herz und war voller Witz und Scharfsinn. Er hauchte jeder noch so glatten, auf positiv getrimmten, politischen Figur eigenes, glaubwürdiges Leben ein; klinisch reine, kommunistische Helden gab es für ihn nun mal nicht. Dies erklärt wohl auch seine große Verehrerschar, die genug hatte von dem ewigen Heroen-Standard.

Mich erreichten nach dem Tode meines Vaters unzählige E-Mails, in denen die Rede davon war, dass mit ihm einer der letzten großen Volksschauspieler der DDR und damit auch ein Stück DDR-Identität gegangen sei. Ich will das hier an dieser Stelle weder überstrapazieren noch besitze ich die persönliche Deutungshoheit zu diesem Thema, es ist aber wohl auch so, dass mein Vater vielen Menschen, die mit dem schnellen Wechsel von einer Staatsform in die nächste ihre Schwierigkeiten hatten, Rückhalt und Zuversicht gegeben hat. Viele wussten, dass er einfach immer da war, eine Art allgegenwärtige Konstante. In einer eMail stand die schöne Formulierung, er sei ein „Anker der Generationen“ gewesen.

Viele Fans haben die Meldung über seinen Tod auf unserem Familien-Blog im Internet genutzt, um wärmende Worte zu hinterlassen. Es sind dort auch schöne Anekdoten zu finden, wie z.B. die einer Frau, die sich lebhaft daran erinnert, dass mein Vater ihr Anfang der 70er Jahre an der Ostsee eine Autogrammkarte gab und sich nicht „zu fein“ war, mit seinen Fans zu reden. Und natürlich fand für viele seiner Fans die erste Begegnung mit ihm beim „Kalten Herz“ statt – dies war wahrlich generationsübergreifend, denn mir berichteten Menschen unterschiedlichsten Alters von ihrer ersten Filmbegegnung mit dem Holländer Michel.

Alexander Geschonneck Trauerrede

Mein Vater war der beste Vater, den ich mir wünschen konnte. Zwar spielten wir nicht Fußball, machten keine gemeinsamen Radtouren und bauten auch keine Baumhäuser zusammen. Vielmehr verbrachten wir die Wochenenden in den Berliner Museen oder gingen oft stundenlang in den Friedrichshain – er machte seine Sportübungen, ich versuchte den Indiander-Spielplatz zu beherrschen. Stets hat er mich intellektuell gefordert und mich zum Nachdenken animiert. Die Male, an denen ich ihn im Schach schlagen konnte, sind an zwei Händen abzuzählen – leider.

Das Leben in seinem großen Schatten verlief aber nicht immer ohne Problemchen für einen Teenager wie mich. Natürlich wurde er oft auf der Straße von Autogrammjägern angesprochen. Manchmal fing er auch an zu singen oder sprach einfach nur theatralisch laut. Als eher schüchterner Junge hätte ich dann wirklich im Boden versinken können. Er war nun mal immer schon ein Star zum Anfassen, dies trug wohl auch zur Magie seiner Präsenz bei. In dem Zusammenhang erinnere ich mich auch noch an eine andere Begebenheit, während einer Klassenfahrt, auf der meine Klasse ins Kino ging und der Leiter des örtlichen Lichtspielhauses sich meines illustren Namens wegen bemüßigt fühlte, das Kinoprogramm zu ändern. Statt Gojko Mitic gab es dann einen Film mit meinem Vater, überlebensgroß. Die Freude meiner Klasse hielt sich dabei vielleicht in Grenzen, doch letztendlich war dies eine Ehrbezeugung für ihn. Habe ich auch erst viel später begriffen.

Es ist schön, dass wir ihn so lange haben durften, viel länger als ein „normales“ Menschenleben. Aber er war ja auch ein ganz besonderer Mensch, der von meiner Mutter, seiner lieben Heiki, gehegt und gepflegt wurde, bis sein Leben in Würde endete. Und so hätte mein Vater auch gewollt, dass wir uns an seinem Grab der schönen Dinge in Freude erinnern und nicht den Schmerz in den Vordergrund stellen. Er hat sich als Schauspieler vor allem als Komödiant verstanden, und zu mancher Gelegenheit blitzte sein Wunsch durch, wie er sich den heutigen Tag vorstellte, wenn er sagte: „Ich will als Gaukler in Erinnerung bleiben, nicht als Tragöde. Die Leute sollen die Freude am Leben nicht verlernen.“ Und das wollen wir auch tun, Du Kämpfer und kritischer Zeitgeist! Ich liebe Dich. Mach’s gut Vati.

Diese Rede wurde am 03.05.2008 auf Erwin Geschonneck‘s Beerdigung von Alexander Geschonneck gehalten.

2 thoughts on “Trauerrede für meinen Vater”

  1. Pingback: Schachblätter
  2. Erstaunlich was olle Erwin zustande gebracht hat ,trotz Verfolgung ,Stalin und
    Hitlerterror .
    Selbst im hohen Alter hat er sich mit seinen Sohn ausgesöhnt.
    Erst kürzlich ,habe ich den Film das Beil von Wandsbek gesehen .
    Eine meisterliche Glanzleistung des GROßEN ERWIN GESCHONECK.
    Ich verneige mich vor einen Großen dieser Welt .

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